Argenis Brito & Mathew Jonson

Casa Nostra: Argenis Brito & Mathew Jonson im Interview


Hoher Besuch an der «Casa Nostra»-Sause bei Tante Frieda vom kommenden Samstag: Argenis Brito und Mathew Jonson machen Halt an der Friedaustrasse und bringen ihren unverkennbaren Sound in gemeinsamer Sache nach Zürich. Brito und Jonson sind zwei der prägendsten Stimmen der Szene und bewegen sich seit ihren Anfängen stets am Puls der Zeit. Wir haben im Interview mit den beiden Artists einen Blick aufs vergangene Jahr geworfen und uns unter anderem über den Stellenwert von Zürich in deren Karrieren unterhalten.

Für Argenis Brito und Mathew Jonson ist Zürich kein unbekanntes Pflaster – beide haben im Laufe ihrer Karrieren schon namhafte Gigs in der Limmatstadt gespielt – von Auftritten an der Streetparade und in der legendären Dachkantine, über Performances im Supermarket Club, der Zukunft und der Roten Fabrik, hin zu einer Residency in der Frieda’s Büxe: Zürich war immer wieder ein relevanter Meilenstein in den Karrieren der beiden Künstler.

Argenis Brito und Mathew Jonson könnten bodenständiger nicht sein. Trotz ihres schon lange währenden Erfolgs, scheinen sie die Bodenhaftung nie verloren zu haben. Ihr Sound bewegt sich stets am Puls der Zeit, ohne dabei seine Handschrift zu verlieren. Brito und Johnson haben verstanden was es heisst, ein Regelwerk immer wieder über den Haufen zu werfen und sich entlang der Entwicklungen im eigenen Tempo neu zu erfinden. Mathew Jonson, der mitunter auch Teil des ikonischen Zusammenschlusses Cobblestone Jazz ist, bewegt sich seit jeher in den unterschiedlichsten Gefilden der elektronischen Musik, während sich auch Argenis Britos Sound keineswegs schubladisieren lässt und Genre-Offenheit zelebriert. Dass die beiden nun bei Tante Frieda gemeinsame Sache machen und ihre jeweiligen Stile zusammenbringen, lässt die Vorfreude definitiv in die Höhe schnellen.

UBWG-Redaktionsleiterin Aline Fürer hat sich anlässlich der Casa Nostra-Sause vom Samstag, 21. Dezember 2024 in der Frieda’s Büxe, mit den beiden Künstlern im Interview unterhalten – ein Gespräch über nachhaltiges Wachstum, prägende Meilensteine, Highlights aus dem vergangenen Jahr und die Gesundheit unserer Szene.


Lasst uns aufs Jahr 2024 zurückblicken: Was waren die Highlights des vergangenen Jahres? Wo seid ihr persönlich und als Künstler gewachsen?

Argenis Brito: Ich habe mir nach der Pandemie eine Auszeit genommen, um zu Hause bei meiner Frau und meinen Kindern zu bleiben. Vor einigen Jahren habe ich dann langsam wieder angefangen, auf Tournee zu gehen. So brachte das Jahr 2024 einige grossartige Höhepunkte mit sich: Ich spielte unter anderem einen sehr aufregenden Gig in Caracas, Venezuela, zusammen mit meinem langjährigen Freund Miguel Toro. Auch das Caprices Festival in Crans Montana markiert ein alljährlicher Höhepunkt. Ebenso waren kürzlich meine Besuche in Miami und Atlanta erstaunliche Erfahrungen. Papaya Playa in Tulum und Bar Americas in Guadalajara verzeichnen jeweils Menschenmengen, die mich dazu bringen, das zu lieben, was ich tue und die mich als Künstler wachsen lassen.

Mathew Jonson: 2024 haben wir das vierte Jahr der Freedom Engine Academy abgeschlossen, meiner Online-Schule für elektronische Musikproduktion, die ich 2021 gegründet habe. Für mich ist das immer ein Höhepunkt des Jahres. Es ist nicht nur eine Möglichkeit, etwas zurückzugeben – ich lasse mich von meiner Zeit bei der der Red Bull Music Academy (RBMA) inspirieren – sondern auch eine Gelegenheit, mit Musiker:innen außerhalb der typischen Club- und Festivalumgebung in Kontakt zu treten. Es ist unglaublich erdend und gibt mir eine einzigartige Perspektive auf die aktuelle emotionale und kreative Landschaft der Musiker:innen auf der ganzen Welt. Diese Erkenntnisse beeinflussen oft die künstlerischen und musikalischen Entscheidungen, die ich im Laufe des Jahres treffe. In diesem Jahr hatte ich das Vergnügen, mit Argenis an der Akademie zusammenzuarbeiten. Er ist einer unserer Live-Musiker und wir treffen uns jedes Jahr im The Brewery Studio in Berlin, das von Eric Breuer geleitet wird. Als Teil des Academy-Programms haben wir begonnen, Online-Live-Jams mit Teilnehmer:innen zu veranstalten – ein Prozess, der so inspirierend war, dass er Argenis und mich dazu brachte, noch weiter zusammenzuarbeiten. Unsere Entscheidung, dieses Jahr gemeinsam zu spielen, kam also ganz natürlich. Zuvor arbeiteten wir bereits gemeinsam an einem kurzlebigen Bandprojekt für zwei besondere Auftritte im Club Der Visionaere in Berlin, zusammen mit Guti und Sarkis Ricci. Bei diesem Projekt ging es um ein elektronisches Live-Jazz-Format, mit Argenis am Bass und mir am Schlagzeug.

Was die Festivals angeht, so war einer der herausragenden Höhepunkte im 2024 für mich das Mutek Festival in Kanada, das zugleich Jubiläum feierte. Weitere Highlights waren das Houghton Festival in Großbritannien sowie das Caprices Festival in der Schweiz und das Wonderfruit Festival in Thailand, wo ich mit meiner Band Cobblestone Jazz auftrat. Außerdem hatte ich das Privileg, auf dem Echoes of Earth Festival in Indien zu spielen. Mit Cobblestone Jazz live aufzutreten war in diesem Jahr etwas ganz Besonderes – wir haben einige unvergessliche Momente zusammen erlebt. Darüber hinaus war die Tournee, die ich mit Flash in Australien unternommen habe, ein persönliches Highlight. Auch die Tournee durch die Vereinigten Staaten mit Cobblestone Jazz war eine wichtige Erfahrung. Es ist über sieben Jahre her, dass wir dort gespielt haben, und so war die Rückkehr ein ganz besonderer Moment für uns.

Ihr seid beide integraler Bestandteil der elektronischen Musikszene und seit vielen Jahren in eurem Artist-Dasein aktiv. Welche Veränderungen habt ihr in den letzten Jahren – im positiven und negativen Sinne – registriert?

Argenis Brito: In all diesen Jahren haben sich die Dinge sehr verändert und ich habe für mich beschlossen, diesen Wandel zu akzeptieren, mich ihm anzunehmen – solange ich das Gefühl habe, dass ich konsequent meinen Prinzipien und Ideen treu bleiben kann. Im positiven Sinne ist die Elektronische Musik in den vergangenen Jahren exponentiell gewachsen. Es zeigt sich auf globaler Ebene eine interessante Szene, die mit Veranstaltungsorten und Festivals punktet, die exzellente Line-Ups vorweisen können. Die Vorstellungen dieser Events sind sehr klar und es scheint, als wüssten die Akteur:innen sehr genau, was sie da tun. Das gefällt mir. Andererseits ist die Szene in einigen Fällen aber auch völlig überladen, sie ist zum Mainstream geworden. Mich persönlich stört das nicht, so höre ich im Sinne von ‘leben und leben lassen’ einfach hin und konzentriere mich darauf, worauf die Menschen Lust haben. Ich ziehe es aber vor, an einem Ort zu sein, wo die Musik gespielt wird, um zu stimulieren und herauszufordern. Das bevorzuge ich, statt dass ich mich an einem Ort aufhalte, wo die Musik Accessoire für einen Trend ist, wo alle den gleichen Sound spielen und wiederholen – nur, um der Menge zu gefallen und dem Publikum das zu geben, was es glaubt zu wollen.

Ich ziehe es vor, an einem Ort zu sein, wo die Musik gespielt wird, um zu stimulieren und herauszufordern.

Argenis Brito

Mathew Jonson: Zunächst einmal danke, dass Du diese Frage so eloquent formuliert hast. Und ja, wir sind beide schon seit geraumer Zeit aktiv und ich denke, dass wir mit dem Alter nur noch besser werden. Die Veränderungen, die ich in der Branche beobachtet habe, waren tiefgreifend, insbesondere mit dem Aufkommen der sozialen Medien und der Streaming-Plattformen. Als ich anfing, gab es weder das eine noch das andere und die Art und Weise, wie diese Formate die Musikwelt geformt haben und Einfluss genommen haben, war und ist immens – sowohl im Guten als auch im Schlechten. Positiv ist, dass diese Instrumente und Kanäle einen noch nie dagewesenen Zugang zum Publikum bieten und es den Künstler:innen ermöglichen, die traditionellen Gatekeeper zu umgehen. Es gibt jedoch auch eine Schattenseite: Die Streaming-Tantiemen sind nach wie vor äusserst ungerecht und zwingen die Künstler:innen dazu, fast ausschließlich auf Tourneen zu gehen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Dies hat viele talentierte Musiker:innen aus der Szene verdrängt und ein Ungleichgewicht geschaffen, insbesondere zwischen DJ-Gagen und Gagen für Live-Acts. Ich hoffe, dass diese Ungleichheiten beseitigt werden, damit die Branche qualitativ hochwertige Musik und echtes künstlerisches Schaffen besser unterstützen kann. Ein weiterer Trend ist die Übersättigung des Marktes. Mit der zunehmenden Verbreitung von Ghost-Productions überschwemmen DJs, die nicht produzieren, die Szene mit Musik, nur um die Präsenz in den sozialen Medien und die Bookings zu steigern. Hinzu kommt der sich abzeichnende Einfluss der künstlichen Intelligenz, welche die Authentizität und die Zukunft des Handwerks in Frage stellen kann.

Inmitten dieser Komplexität sehe ich aber auch eine große Chance: Soziale Medien ermöglichen es den Menschen, die Mainstream-Narrative zu umgehen und die Welt mit neuen Augen zu sehen. Kunst – vor allem Musik – war schon immer eine mächtige Form der Kommunikation und des Widerstands. In der Vergangenheit hat die Musik politische und soziale Veränderungen ausgelöst, heute werden Musiker:innen oft kritisiert, wenn sie Stellung beziehen. Ich würde mir wünschen, dass sich das ändert. Wir als Künstler:innen haben die Verantwortung, uns zu äussern, Bewusstsein zu schaffen und Veränderungen anzuregen. Es ist auch wichtig, Räume für offene, mitfühlende Gespräche zu schaffen, in denen sich die Menschen sicher fühlen, um zu wachsen und zu lernen – ohne Angst vor Verurteilung oder Spaltung. Persönlich bin ich unglaublich dankbar dafür, dass ich das tun kann, was ich beruflich liebe. Ein Privileg, das ich nie für selbstverständlich halte. Gleichzeitig hoffe ich, dass wir Raum für Kunst schaffen können, die emotionale Tiefe und Menschlichkeit über Trends und Zahlen stellt. In einer Welt, in der die Aufmerksamkeitsspanne immer kürzer wird und die Mainstream-Medien oft den Geschmack diktieren, ist es wichtig, Musik zu suchen, die auf einer tieferen Ebene ankommt. Daher mein Rat: Originalität unterstützen, Zeit in die Entdeckung von Musik investieren – jenseits des Social-Media-Hypes. Und: Den Besuch von Festivals der Kunst wegen auswählen – nicht nur wegen der Zahlen oder des Marketings. Authentische Musik wird immer über dem Lärm stehen.

Ich hoffe, dass wir Raum für Kunst schaffen können, die emotionale Tiefe und Menschlichkeit über Trends und Zahlen stellt.

Mathew Jonson
Welche Erinnerungen und Geschichten kommen beim Gedanken an Zürich auf, insbesondere in Bezug auf die Musik- und Kulturlandschaft?

Argenis Brito: Zürich war ein sehr wichtiger Teil meiner Karriere. Ich habe hier zu Zeiten der Dachkantine angefangen zu spielen, das hat wahnsinnig viel Spass gemacht! Dann kam der Aether Club, der ebenfalls hervorragend war. Danach hatte ich eine wunderbare Residency in der Frieda’s Büxe, die sehr erfüllend und intensiv war. Ich habe auch einige Male im Supermarkt gespielt, an der Street Parade, in der Roten Fabrik und auch in der Zukunft. Ich muss sagen, dass die elektronische Musikkultur in Zürich tief greift und bunt ist. Die Menschen hier sind sehr offen für verschiedene Sounds – das macht Zürich zu einem meiner Lieblingsorte auf der Welt.

Mathew Jonson: Wenn ich an Zürich denke, dann sind die Erinnerungen, die mir in den Sinn kommen, eng mit der Clubkultur verbunden – insbesondere mit drei Lokalen, die für mich in den letzten 20 Jahren von Bedeutung waren: Dachkantine, Supermarkt und Zukunft. Jeder dieser Orte hat mich auf eine einzigartige Weise geprägt und bietet unterschiedliche Atmosphären und Erfahrungen. Die Dachkantine hat einen besonderen Platz in meinem Herzen. Sie war ein wahrhaft ikonischer Veranstaltungsort – ein Schmelztiegel von Kreativität und Musik, der ein Gefühl von Gemeinschaft und Experimentierfreude förderte. Ihre Schliessung hinterliess eine Lücke, aber ihr Erbe beeinflusst die Zürcher Szene weiterhin.

In den Jahren seither sind Supermarkt und Zukunft für meine Verbindung mit der Stadt von zentraler Bedeutung geworden. Beide Clubs haben der elektronischen Musik immer wieder eine Plattform geboten, um zu gedeihen, jeder mit seinem eigenen Charakter. Der Supermarkt strahlt eine gewisse rohe Energie aus, ein Raum, in dem der Fokus ausschließlich auf der Musik und dem Publikum liegt. Der Club Zukunft hingegen hat einen ganz eigenen Vibe – intim und doch zukunftsorientiert, immer offen für Künstler:innen, die Grenzen überschreiten – es ist traurig zu hören, dass sie schliessen müssen. Ich habe in den letzten zehn Jahren in beiden Häusern gespielt und jeder Auftritt fühlte sich wie ein Wiedersehen mit Freund:innen und Gleichgesinnten an, die diese Kunstform wirklich schätzen. Was Zürich letztendlich so besonders macht, sind nicht nur die Clubs selbst, sondern auch die Kultur, die sie umgibt. Es gibt hier einen tiefen Respekt vor der Musik, gepaart mit einer durchdachten Herangehensweise an das Kuratieren. Es ist eine Stadt, die Qualität und Authentizität schätzt – sei es in der Kunst, der Musik oder im Lifestyle. Das Publikum in Zürich war schon immer engagiert und aufgeschlossen, was eine ganz besondere Energie für Artists wie mich schafft. Wenn man über Zürich nachdenkt, ist das wie ein Rückblick auf eine Reihe von Kapiteln – jedes einzelne ist geprägt von seinen Clubs, seinen Menschen und den Verbindungen, die durch die Musik entstanden sind. Es ist ein Ort, der sich zeitlos anfühlt und sich gleichzeitig weiterentwickelt, an dem die Vergangenheit ihre Spuren hinterlässt, die Zukunft aber weit offen bleibt.

Wenn man über Zürich nachdenkt, ist das wie ein Rückblick auf eine Reihe von Kapiteln – jedes einzelne ist geprägt von seinen Clubs, seinen Menschen und den Verbindungen, die durch die Musik entstanden sind.

Mathew Jonson
Worauf dürfen sich Musikliebhaber:innen am Samstag in der Frieda’s Büxe freuen?

Argenis Brito: Es ist das erste Mal, dass wir zusammen in einem Club spielen werden. Die Idee hinter der Performance ist die totale Improvisation. Das mögen wir beide sehr. Wir denken, dass wir diesen Samstag sehr viel Spass beim Jammen haben werden. Unsere Musik wird der Menge ziemlich sicher ordentlich Freude bereiten!

Mathew Jonson: Musikliebhaber:innen, die am Samstag in die Frieda’s Büxe kommen, können sich auf etwas Besonderes freuen. Der Club war schon immer ein magischer Veranstaltungsort – intim, voller Charakter und mit einem Publikum, das es versteht, sich tief mit der Musik zu verbinden. Ohne zu viel zu verraten: Die Besucher:innen dürfen einen Abend voller Spontanität und Energie erwarten. Für mich persönlich geht es an diesem Abend darum, eine Reise zu schaffen, bei der sich alle – auch ich – ganz in den Moment hineinversetzt fühlen. Ich freue mich darauf – wir sehen uns dort!

Im Interview für UBWG: Aline Fürer (Redaktionsleiterin)



Verlosung:

Wir verlosen 1×2 GL-Plätze für die Casa Nostra vom 21. Dezember 2024 in der Frieda’s Büxe. Um an der Verlosung teilzunehmen, brauchst Du uns entweder einen Kommentar zu hinterlassen oder eine E-Mail mit dem Betreff “Casa Nostra” zu schreiben (win@ubwg.ch). Kommentare können sowohl auf Facebook als auch auf ubwg.ch hinterlassen werden. Die Gewinner werden bis spätestens Freitag, 20. Dezember 2024, 12 Uhr, per Mail oder Facebook benachrichtigt. Die Teilnahme erfolgt ohne Gewähr. Wir wünschen allen viel Glück!

Information zum Datenschutz:
Mit der Teilnahme an der Verlosung willigt der/die Teilnehmer:in ein, dass bei einem allfälligen Gewinn der Vor- und Nachname an die Veranstalter:innen weitergeleitet werden. Alle anderen Daten, wie bspw. E-Mailadresse(n), insbesondere sämtliche Daten der Teilnehmenden, die nicht gewonnen haben, werden gelöscht.


Quellen: Argenis Brito, Mathew Jonson (via Little Big Music Agency & Freedom Engine Academy), Frieda’s Büxe