Wenn man heutzutage die Partys eines Wochenendes genauer anschaut, findet man in den Line-Ups fast überall einen Live-Act. Doch was bedeutet „live“ und wird auch immer wirklich „live“ gespielt?
Wir von Unsere Beweggründe konnten einen der besten Live-Acts in der Zürcher Altstadt treffen und diese Frage diskutieren. Die Rede ist von keinem geringeren als Ander. Der Hamburger ist seit eh und je ein Live-Act, welcher das Wort „live“ neu definiert und mit seiner Art zu spielen auf der Welt völlig einzigartig ist.
„Ich möchte mit meinem Controller Musik spielen, als wäre er ein ganz normales Instrument“, so Ander, der mit seinem selbstgebauten Controller bereits in Übersee spielte. Wie er ihn entwickelt hat, wo er am liebsten performt und was seine Motivation ist, kannst du im folgenden Interview nachlesen!
Vielen Dank erstmals, dass Du uns bei Dir zu Hause so herzlich empfängst. Als Live-Act bist du eine feste Grösse in der Zürcher Clubbing-Szene. Wo befinden sich Deine musikalischen Wurzeln und wie kamst Du überhaupt zur elektronischen Musik?
Als Kind hatte ich die Möglichkeit Querflöte zu lernen. Nach einer Weile verlor ich aber den Anreiz und ich hörte lieber Musik als sie zu spielen. Zehn Jahre später packte ich die Flöte wieder aus, wollte aber Richtung Jazz gehen. So suchte ich mir ein paar Leute und wir gründeten eine Jazz-Band, die jede Woche zwei bis drei Stunden zusammen spielte. Sogar ein paar kleinere Gigs gab es.
Zur elektronischen Musik kam ich, als für mich eine neue Lebensphase begann. Ich konnte endlich meine Doktorarbeit in Umweltnaturwissenschaften an der Zürcher ETH abschliessen und mal wieder richtig Party machen. Nachdem ich bei elektronischer Musik irgendwo bei Drum’n’Bass ausgestiegen war, stieg ich bei Techno wieder ein. Es passte gut. Und es fiel mir sofort auf, dass ich selber etwas machen möchte. Einen Liveact. Und zwar mit selbstgebauten Controllern.
Du wusstest also von Anfang an, dass Du nie ein gewöhnlicher DJ sein möchtest?
Ich kann nicht mit Platten auflegen. Das geht nicht! (lacht) Es hat mich auch nie gereizt, ich möchte meine eigene Musik spielen und damit improvisieren. Das ist der flow der mich kickt. Mein erstes Setup war ganz einfach. Ich kaufte mir eine USB Tastatur und einen simplen Behringer Controller. Bei der Tastatur beschriftete ich jede Taste mit einer kleinen Notiz und schrieb zudem ein Programm, damit das Ganze mit Ableton kommunizieren konnte. Doch bereits damals hatte ich die Idee meines jetzigen Controllers. Alles andere war nur provisorisch.
Wie konntest Du diese Idee in Tat und Wahrheit umsetzen? Wie lange dauerte die Entwicklung des Controllers?
Insgesamt habe ich drei Jahre quasi jede freie Minute investiert. Es war eine sehr intensive Zeit… Die genaue Stundenanzahl kann ich nicht sagen, aber ich sass fast jede Nacht entweder an der Planung, der Programmierung oder dem eigentlichen Bau. Löten, löten, löten, und ja nicht an die Freunde denken (lacht).
Die ganze Arbeit war also ein riesiger Aufwand. Hast Du Dir das benötigte Know-How, um derartiges zu bauen, ganz alleine angeeignet?
Angefangen hat es damit, dass mich Elektronik schon immer interessiert hatte. Damals gab es die Möglichkeit Kurse zum Bau von MIDI-Controllern bei der SGMK (Schweizerische Gesellschaft für Mechatronische Kunst) zu besuchen. Deren Kurse kann ich jedem empfehlen der sich mal mit Hardware auseinandersetzen will.
Weshalb kamst Du überhaupt auf die Idee, einen eigenen Controller zu bauen? Es hätte doch sicher irgendwelche Alternativen gegeben?
Für mich waren alle bestehenden Controller zu wenig intuitiv und zudem wollte ich als Live-Act nicht auf einen Bildschirm angewiesen sein. Ich wollte das Teil auf der Bühne haben und auf dem Controller spielen, als wäre er ein Instrument, direkt und intuitiv. Musikmachen nach Farben statt Malen nach Zahlen. Ohne non-stop auf dem Bildschirm schauen zu müssen, wo ich mich in der Timeline und im Arrangement gerade befinde. Ausserdem kann ich mit meinem Controller mit dem Publikum interagieren, es ist eine Performance für Ohren und Augen.
Ich habe diesen passenden Leitspruch auf Deiner Seite ander.fm gefunden: „Best bang for your ears. And colours for your eyes.“ Ist es Dir wichtig, dass der Besucher nicht nur die Musik erlebt, sondern sich vielleicht auch wundert, was dort vorne am DJ Pult alles so blinkt und was da so toll aussieht?
Ja, sicher! Die Musik und die Art und Weise wie sie gespielt wird gehören auf jeden Fall zusammen. Ich steh nicht so auf Grossraumdisco, DJs in meterhohen Kanzeln und ähnliches. Die Beziehung zwischen Künstler und Tänzer geht verloren. Ich mag vor allem kleinere Locations, wo man sich auf derselben Augenhöhe mit der Meute befindet. Die Leute sollen sehen können wie ich spiele, wie ich den Groove geil finde und wie ich dann auch mal ins Schwitzen komme wenn etwas nicht so toll passt.
Mit Deinem Controller bist Du auf der Welt einzigartig. Es gibt so viele Live-Acts und es werden immer mehr. Wie definierst Du Dein Live-Set und wie spielst Du live?
Um ehrlich zu sein: Ich fange einfach an. Ich höre mir an was für Musik bisher gespielt wurde und wähle die ersten Sounds aus. Ich habe gruppierte Tracks mit Loops und je nachdem wie für mich die Stimmung ist, spiele ich das eine oder das andere Set. Das gesamte Arrangement entsteht dann live und aus dem Moment, die grossen und kleinen Bögen, die Buildups und die Drops. Im Grossen und Ganzen kommt es darauf an wie ich mich fühle, worauf ich Lust habe. Je nachdem probiere ich neue Kombinationen alter Loops, setze auf Effekte und schräge Sounds oder spiele sogar live neue Melodien ein. Wenn ich im während des Spielens selber einen Groove hinbekomme den ich so noch nie gehört habe, dann ist es ein gutes Set.
Wenn Du an einen Ort kommst und Dich andere Musiker mit Deinem Equipment sehen, ist dies sicher immer ein sehr spezieller Moment. Wie reagieren sie, wenn sie den Controller das erste Mal sehen?
Das Kinn schleift irgendwo zwischen den Knien und dem Boden (lacht). Nein, natürlich sind sie am Anfang sehr erstaunt und wollen das eine oder andere wissen. Über solche Reaktionen freue ich mich selbstverständlich. Der Controller ist sicher ein guter Icebreaker, aber ich bin auch immer interessiert daran wie andere Liveacts arbeiten. Ich spiele sehr gern mit anderen Liveacts, back to back sozusagen, da entsteht viel Neues in kurzer Zeit.
Mit „Guess Me“ konntest Du erst vor kurzem auf dem Zürcher Label Nice Try Records einen Track von Dir releasen. Siehst Du dich persönlich mehr als Live-Performer oder als Produzent?
Natürlich möchte ich produzieren und releasen, aber meine Leidenschaft bleibt die direkte Performance vor den Leuten. Eigene Produktionen zu veröffentlichen ist schon cool, da man so zeigen kann: Das bin ich. Das live spielen ist und bleibt aber das, was mich flasht…. Daher produziere ich auch immer zuerst für das Liveset. Was dort funktioniert wird ein Track.
Bisher habe ich zwei Tracks released, “Uptown Tike” auf dem Hamburger Label Eminory Binary und eben “Guess Me” auf Nice Try Records. Demnächst kommt dann eine EP mit vier Tracks auf dem Zürcher Label “The Crates”. Es ist eine spezielle EP, alle Samples der Tracks kommen aus einer Soundinstallation die ich mal für eine Technoparty im Hotel Schatzalp in Davos gemacht habe. Dazu gibt es dann noch ein Stück auf Vinyl, auf dem gleichen Label. Weitere Tracks sind gerade in Arbeit.
Vielen Dank an Ander!