Mit dem Januarloch verhält es sich ähnlich wie mit dem Mittelfinger: Gähnende Leere auf dem Bankkonto, das eine oder andere Guetzli zu viel auf den Hüften und die erschwerte Rückkehr in den Arbeitsalltag. Auch an den Clubs geht der erste Monat des Jahres nicht spurlos vorbei: Sind die ersten Wochenenden nach Silvester ohnehin schon hart, kommt aktuell die angespannte Pandemielage hinzu. Bringt das soeben eingeläutete Jahr erneut den Anfang vom vorübergehenden Ende? Kommen wir mit den aktuellen Massnahmen um Schliessungen herum? Und wo muss die Politik das Kultur- und Nachtleben proaktiver unterstützen?
Vergangenen Samstagnachmittag fand ich mich vor dem Corona-Testcenter am Sihlquai wieder. Auf dem Weg in den Club, nachdem ich bereits mit meinen Freunden die Nacht durchgefeiert habe. Während meine Begleitung und ich in der Sonne auf das obligate Prozedere warteten, schossen mir die Gedanken wie Blitze durch den Kopf: Was mache ich hier eigentlich? Ist es in Ordnung, dass ich überhaupt in einen Club gehe? Wird mein Test negativ ausfallen? Warum habe ich meinen Booster-Termin erst auf Mitte Januar gelegt? Wo bewegen wir uns als Gesellschaft hin und wieviele Schlaufen der Absurdität müssen wir noch durchlaufen, bis das alles ein Ende hat? Was denken wohl die anderen zwei Dutzend, die hinter mir anstehen? Denken sie überhaupt? Die Gedankenschlaufe hatte ein kurzes Ende, nachdem ich gefühlt die Hälfte meines Hirns infolge eines dünnen Stäbchens in meiner Nase verlor.
Ich frage mich manchmal, ob die Situation, in der wir uns befinden, wirklich so absurd ist, wie sie mir manchmal erscheint. Immerhin leben wir in einer Zeit, in der wir uns via Instagram-Story zum Geburtstag gratulieren und Memes in der Inbox mehr Relevanz und Witz haben als ein Scherz, den wir uns bei einem Glas Wein erzählen. Klar, das ist etwas überspitzt formuliert, aber ganz ehrlich, im Social Distancing üben wir uns meiner Ansicht nach schon ganz lange. Leider nicht ganz so elegant wie Tarzan schwingen wir uns von A nach B. Aber wir schwingen. Noch. Dieser Lianen-Seiltanz ist vor allem für diejenigen eine Tortur, die seit Anbeginn der Pandemie ums Überleben kämpfen, immer wieder eine Liane erwischen, die kurz davor ist, zu reissen. Und nun stehen wir einmal mehr vor der grossen Frage: Wie geht es weiter? Die Clubs, das Gastrogewerbe, die Kulturinstitutionen, Freischaffende und Arbeitnehmende im Kulturbereich kämpfen sich mit den bestehenden Massnahmen durch den Alltag, halten sich irgendwie über Wasser und finden am Ende des Tages doch keine Ruhe.
Maske auf und durch?
Wie es Darrien in seiner Siedepunkt-Kolumne im Juni 2020 bereits sagte: “Aus rein epidemiologischer Sicht sind Schliessungen von Clubs, Restaurants, Schulen, Büros und Freizeiteinrichtungen wohl am sinnvollsten. Doch aus wirtschaftlicher, kultureller und gesellschaftlicher Sicht gilt es nach wie vor, einen ausgewogenen Umgang mit dem Coronavirus auszuloten. Einerseits muss der Pandemie, andererseits aber auch dem Erhalt von Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft Rechnung getragen werden.” Was ist also eine sinnvolle Lösung? Ich finde die korrekte Antwort nicht, wenn es diese denn überhaupt gibt. Stattdessen versuche ich, im Alltag die Balance zu halten, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, meinen Beitrag zu leisten, dieses aufrechtzuerhalten, mein eigenes gesellschaftliches und kulturelles Leben aufrechtzuerhalten, welches wiederum zu einer kollektiven psychischen Gesundheit beiträgt. Dazu gehört wohl oder übel auch, sich regelmässig in der Nase herumstochern zu lassen. Es braucht aber auch die proaktive Unterstützung unseres Staates. Ins offene Messer laufen lassen geht nicht mehr – zu filigran ist unsere Kulturlandschaft.
Katerstimmung in der Club- und Kulturlandschaft
Auch wir bei ubwg.ch verzeichnen seit Anfang Dezember 2021 abnehmende Besucher*innenzahlen. Zum Beispiel auf unserem Eventkalender – ein verlässliches Indiz für die Situation, die sich in den Clubs zeigt. Im Jahr 2021 hatten wir insgesamt gleich viele Besucher*innen, wie in sechs Monaten im Jahr 2019 – und dazumal war der Kalender nur halb so gross. Ferner lassen die aktuellen Statements der Clubs nicht viel Gutes verhoffen: So kündete der Sender beispielsweise am Montag in einem Statement an, den öffentlichen Bar- und Kulturbetrieb schweren Herzens zu schliessen und die Monatsprogramme der Clubs lassen vielerorts auf sich warten.
Wie sagt man so schön, die Hoffnung stirbt zuletzt. Die Tarzans und Janes da draussen brauchen wohl noch etwas an Muskelkraft zuzulegen.
Über die Autorin
Aline ist seit einigen Jahren als Schreiberling für UBWG tätig und verantwortet nun seit über einem Jahr die Redaktionsleitung des Portals. Als Veranstalterin ihrer eigenen Event-Reihe, DJ und Produzentin ist sie in unterschiedlichen Ecken des Zürcher Kultur- und Nachtlebens unterwegs. Dem Musikjournalismus hat sich sich in der Vergangenheit bereits mit ihrem Engagement im freien Autor*innennetzwerk für das Berliner Magazin Groove verschrieben. In Ihrer Tätigkeit für die Zürcher Riverside AG ist sie unter anderem für das Music Programming des Digital Arts Festival Zürich mitverantwortlich.
Bilder im Artikel: Aline Fürer